Türkische Kommunalwahlen 2024: Eine politische Wende und ihre Folgen
Veröffentlicht von
Lorenz Leitsch
Die jüngsten Kommunalwahlen in der Türkei haben eine dramatische Veränderung der politischen Landschaft eingeläutet und zugleich die Schwächen von Präsident Erdogan und seiner Partei, der AKP (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung), offengelegt. Die AKP, die seit ihrer Gründung in den frühen 2000er Jahren eine unangefochtene politische Dominanz genoss, wurde bei diesen Wahlen von der Opposition überholt – ein bedeutsamer Einschnitt in der türkischen Politik.
Obwohl Präsident Erdogan selbst nicht auf dem Stimmzettel stand, wird die AKP stark mit seiner Person verbunden. Das Ergebnis dieser Wahlen hat das Potenzial, die politische und wirtschaftliche Agenda der Türkei erheblich zu beeinflussen. Erdogan hat bereits angekündigt, “Fehler zu korrigieren”, was auf eine bevorstehende Neuausrichtung seiner Politik hindeutet.
Wirtschaftliche Herausforderungen
Ein wesentlicher Faktor, der zum Abstieg der AKP beigetragen hat, ist die wirtschaftliche Lage. Erdogan wurde einst für den wirtschaftlichen Aufschwung der Türkei gelobt, der eine neue Mittelschicht entstehen ließ und den Wohlstand in Regionen außerhalb der großen Städte im Westen des Landes brachte. Infrastrukturprojekte wie Brücken, Straßen, Flughäfen und die Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung waren Teil seiner Erfolgsbilanz.
Jedoch begann die Wirtschaft im Jahr 2018 zu stagnieren, begleitet von einer steigenden Inflation und einem Anstieg der Lebenshaltungskosten. Die ältere Generation, die besonders von dieser Teuerung betroffen ist, fühlte sich von den wirtschaftlichen Entwicklungen im Stich gelassen. Die hohe Inflation wurde teilweise der langjährigen lockeren Geldpolitik zugeschrieben, die 2023 durch strenge Sparmaßnahmen und eine Erhöhung des Leitzinses beendet wurde.
Die drastischen wirtschaftlichen Maßnahmen haben jedoch für die Bevölkerung erhebliche Auswirkungen gehabt: Kredite wurden teurer, die Mehrwertsteuer stieg, und die Preise blieben hoch. Die Wähler haben mit ihrem Votum bei den Kommunalwahlen klar signalisiert, dass die wirtschaftliche Stabilität wiederhergestellt werden muss – eine Herausforderung, der sich Erdogan in den kommenden vier Jahren stellen muss, bis die nächsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen anstehen.
Polarisierung und Identitätspolitik
Erdogan hat nicht nur auf wirtschaftliche Entwicklung gesetzt, sondern auch auf Identitätspolitik. Vor seiner Amtszeit dominierte eine urbane Elite mit einem westlichen Lebensstil die politische Szene, während konservative Bevölkerungsgruppen aus Anatolien unterrepräsentiert waren. Erdogan gab diesen Gruppen eine politische Stimme und wurde dafür belohnt – zumindest bis zu den jüngsten Kommunalwahlen.
Die Wahl hat jedoch auch gezeigt, dass das rechte Lager, das Erdogan traditionell unterstützt hat, zunehmend zersplittert ist. Neue Parteien wie die Neue Wohlfahrtspartei (YRP), eine islamistische Vereinigung, erhielten signifikante Stimmenanteile. Experten sind sich einig, dass Erdogan vor den nächsten Wahlen Schwierigkeiten haben wird, verlorene Stimmen zurückzugewinnen.
Eine mögliche Strategie für Erdogan besteht darin, den rechten Block zu konsolidieren, indem er auf eine Politik der Polarisierung setzt – insbesondere durch eine harte Haltung in Fragen wie der Kurdenfrage und gegenüber der größten Oppositionspartei CHP. Diese Strategie birgt jedoch das Risiko weiterer Spaltungen in der türkischen Gesellschaft und könnte langfristig zu einer noch größeren politischen Unsicherheit führen.
Die Türkei steht vor einer neuen politischen Ära, in der der wirtschaftliche Abstieg und die wachsende Fragmentierung des politischen Spektrums eine Neuausrichtung der politischen Agenda erfordern. Präsident Erdogan und die AKP werden in den kommenden Jahren entscheidende Weichenstellungen vornehmen müssen, um die Unterstützung der Bevölkerung zurückzugewinnen und die türkische Politik für die Zukunft zu prägen.
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